erzlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik! In unserer neuen dreiteiligen Fachbeitrags-Serie widmen wir uns ganz intensiv und ausführlich dem Thema Erdschlussschutz. Erdschlussschutzsysteme gehören vielleicht nicht zu den kompliziertesten Schutzfunktionen, aber in der Praxis kommt es doch immer wieder zu Problemen. Gerade beim Nachweis der korrekten Richtungsentscheidung gibt es viele mögliche Fehlerquellen. Die Beiträge geben einfache Tipps, wie Fehler beim Prüfen der Erdschlussrichtungserfassung vermieden werden können.
In unserem heutigen zweiten Teil stellen wir Euch die gängigen Methoden zur Prüfung von Erdschlusswischerrelais vor.
Teil 2: Die Prüfung von Erdschlusswischerrelais
Erdschlusswischerrelais erfassen die Richtung eines Erdschlusses anhand des transienten Übergangsvorgangs vom fehlerfreien Netz zum erdschlussbehafteten Netz. Hierbei nutzen sie insbesondere den ersten Ausschlag des Stromes und der Spannung.
Die obige Abbildung zeigt den Verlauf der Stromsumme aller drei Phasen (rot) sowie den Verlauf der Sternpunktverlagerungsspannung (blau). Man erkennt hier gut, dass direkt bei Erdschlusseintritt die höchsten Strom- und Spannungsspitzen entstehen. Üblicherweise wird hier die Richtungsmessung freigegeben, wenn der Summenstrom sowie die Verlagerungsspannung einen gewissen Schwellwert überschreiten. Dann wird die Polarität des ersten Ausschlags verglichen. Haben beide unterschiedliche Vorzeichen, liegt der Fehler in Vorwärtsrichtung. Haben der Summenstrom und die Verlagerungsspannung jedoch das gleiche Vorzeichen liegt der Fehler in Rückwärtsrichtung.
Zur Strommessung werden Erdschlusswischerrelais häufig mittels Holmgreenschaltung (siehedieser Reihe) eingebunden. Da die Holgreenschaltung durch die Parallelschaltung der drei Phasenstromwandler realisiert wird, müssen diese normalerweise baugleich und toleranzgeprüft sein. Für Wischerrelais ist dies nicht so kritisch zu sehen, denn im Erdschlusseintrittsmoment liegen die Ströme um ein Vielfaches höher als der letztendliche Dauererdschlussstrom. Aus diesem Grund können Erdschlusswischerrelais auch in Netzen und Anlagen eingesetzt werden, in denen der Einsatz eines Kabelumbauwandlers sehr aufwendig oder gar nicht möglich ist (zum Beispiel in 110-kV-Freileitungsnetzen).
Die Spannungsmessung wird meist entweder über die Messung der offenen Dreieckswicklung oder über den Anschluss aller drei Leiter-Erde-Spannungen realisiert. Bei der Prüfung muss man genau darauf achten, sowohl die Spannungs-, als auch die Stromsignale korrekt anzuschließen.
Prüfung mit statischen Größen
Um den Richtungsentscheid von Erdschlusswischerrelais zu prüfen, können zum Beispiel statische Größen verwendet werden. Dies bedeutet, dass Betrag, Winkel und Frequenz der ausgegebenen Größen manuell festgelegt werden. Auf den ersten Blick erscheint dieses Verfahren einfach. Das korrekte definieren dieser Größen ist es aber, was eben nicht ganz trivial ist.
Die Signalverläufe im Moment des Erdschlusseintritts haben nicht die Grundfrequenz des Netzes (50 Hz) sondern setzen sich aus einer Überlagerung von hochfrequenten Schwingungen zusammen. Selbst wenn es gelingt, das Schutzgerät mit einem bestimmten Signal zur erwarteten Antwort zu bewegen, kann dies bei einem anderen Gerätetyp schon wieder ganz anders aussehen. Das liegt daran, dass sich die detaillierte Realisierung der Schutzfunktion existierender Schutzgerätetypen unterscheidet. Das Prüfen mit statischen Größen ist also prinzipiell möglich, aber nicht immer die einfachste und zuverlässigste Methode.
Netzwerksimulation
Alternativ können die Prüfsignale auch über eine Netzwerksimulation erzeugt werden. Anhand der Simulation sind wir in der Lage, dass Einschwingverhalten korrekt vorauszuberechnen. Dazu müssen jedoch die elektrischen Parameter eines Netzes bekannt sein. Das Netz muss mindestens aus
🌐 einer Einspeisung (inklusive der Petersenspule),
🌐 einer Leitung / einem Kabel (inklusive Leiter-Erde-Kapazitäten)
🌐 einem Element, das sämtliche verbliebene Kapazitäten des Netzes zusammenfasst, bestehen
Aus den genannten Elementen wird dann eine Netzmodell erstellt. Dabei können geeignete Netzberechnungsprogramme wie z.B. wie PowerFactory, PSS Sincal, ATPDesigner, etc. verwendet werden. Wir sind nun in der Lage, die Signale zu berechnen und anschließend im Comtrade-Format zu exportieren. Hierbei ist es sehr wichtig, eine hinreichend hohe Abtastrate zu verwenden, um höherfrequente Schwingungen korrekt abzubilden. Zur Prüfung des Erdschlusswischerrelais ist es im letzten Schritt erforderlich, diese exportierten Signale von einem Prüfgerät abspielen zu lassen.
Um an die Parameter des Netzes zu gelangen, kann man in der Praxis gut mit Erfahrungswerten arbeiten. Es müssen also nicht die Parameter jedes einzelnen Netzabschnittes bekannt sein. Ein tatsächlicher Nachteil dieser Methode ist allerdings die Tatsache, dass die Simulation mit Netzberechnungsprogrammen nicht ganz trivial ist. Weiterhin haben Schutzprüfer häufig keinen direkten Zugriff auf diese Programme, selbst wenn sie im Unternehmen genutzt werden.
Daher bietet es sich an, Tools zu verwenden, die auf die Schutzprüfung zugeschnitten und somit für den Prüfer einfacher zu nutzen sind. Idealerweise ermöglichen diese Tools die direkte Ausgabe der Signale mit einem verbundenen Prüfgerät, ohne weitere Zwischenschritte absolvieren zu müssen. Eine Option ist hier z.B. das Prüfmodul Erdschlussschutz der Firma OMICRON. Unter Verwendung des Moduls kann das Einschwingverhalten eines Erdschlusses zuverlässig simuliert werden. Auch hier erscheint die Erstellung der Netzparameter nicht ganz einfach, aber es können bereits über die Default-Einstellungen geeignete Signale erzeugt werden. Wichtig: Dieses Netz ist auf eine Quelle mit Transformator, eine fehlerbehaftete Leitung, eine fehlerfreie Leitung und das Restnetz beschränkt.
Für mehr Flexibilität, kann weiterhin das Prüfprogramm RelaySimTest von OMICRON verwendet werden. In RelaySim Test können beliebige Netze erstellt und berechnet werden. Für Nutzer, die keinen Zugriff auf die benötigten Netzparameter haben, stehen hier lauffähige Vorlagen zur Verfügung. Außerdem ist dieses Programm in der Lage fortgeschrittene Fehlerfälle wie kurze Erdschlusswischer, oder Erdschlüsse, die von selbst verlöschen, aber immer wieder kehren, ohne großen Aufwand zu simulieren.
Fazit
Unter Berücksichtigung der genannten Aspekte lässt sich also zusammenfassend sagen: Während es auch möglich ist, den Richtungsentscheid von Erdschlusswischerrelais mit statischen Signalen zu prüfen, ist die Prüfung mittels transienter Netzwerksimulation häufig zuverlässiger. Hier bieten sich vor allem Werkzeuge an, die einfach zu bedienen und die im besten Fall direkt in die Prüfsoftware integriert sind. Gute Vorlagen und sinnvolle Default-Werte sind hierbei zusätzlich hilfreich. Dadurch kann die Prüfung komplexer Fehlerverläufe mit wenig Aufwand im Feld und vor Ort realisiert werden.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es auch noch die Möglichkeit gibt reale Erdschlüsse wiederzugeben. Sind Aufzeichnungen von vorangegangenen Erdschlussvorgängen vorhanden, können diese ebenfalls mit modernen Prüfeinrichtungen abgespielt und eingespeist werden.
Damit endet unser Teil 2 über die Prüfung von Erdschlusswischerrelais. In Teil 3 geht es dann mit der "Optimalen Prüfung von wattmetrischen Erdschlussschutzrelais" weiter. Hier geht es außerdem zum ersten Teil der Serie!
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HERZliche Grüsse, Deine ENGINEERING ACADEMY
Sicherheitshinweis:
Nichtbeachtung der folgenden Hinweise kann Tod, Körperverletzung oder erheblichen Sachschaden zur Folge haben!
Bei allen auf schutztechnik.com beschriebenen Prüfungen können gefährliche Spannungen auftreten. Die Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften für elektrische Anlagen sind bedingungslos einzuhalten. Für Arbeiten an der Primäranlage muss sich der Generator immer im Stillstand befinden und es sind geeignete Erdungs- und Kurzschließmaßnahmen an den jeweiligen Arbeitsstellen vorzusehen. Im Rahmen einer Primärprüfung an einem Turbosatz ist darauf zu achten, dass es zu keiner Überhitzung der Turbine kommt.
Die beschriebenen Arbeiten dürfen nur durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dieses muss gründlich mit den einschlägigen Sicherheitsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen sowie den Warnhinweisen aus den Handbüchern der Lieferanten der verwendeten Komponenten vertraut sein. Die hier beschriebenen Inhalte stellen keine Arbeitsanweisungen dar. Sie müssen in jedem einzelnen Punkt hinsichtlich der Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften durchdacht werden.