erzlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik. In unserem spannenden Praxistest haben wir eine Entdeckung gemacht, die uns kurz mal sprachlos stimmte. In unserem heutigen Beitrag geht es um nichts geringeres als um die Umschaltzeiten der Hilfskontakte der Schutzschalter. Lest hier was wir entdeckt haben.
Stellen wir uns zunächst einmal die folgende Situation vor:
„In Rahmen von Wartungsarbeiten soll der Spannungswandler-Schutzschalter für die Power Quality Messung ausgeschaltet werden. Versehentlich irrt sich der damit beauftragte Kollege und schaltet irrtümlich den Schutzschalter des Distanzschutzrelais aus. Sein fehlerhaftes Handeln wird ihm schlagartig bewusst, als zeitgleich der 110-kV-Leistungsschalter hinter seinem Rücken einen lauten Knall von sich gibt.“
Was ist passiert?
Das Schutzgerät signalisiert über seine LEDs das der Distanzschutz ausgelöst hat. Die LED für den Automatenfall leuchtet ebenfalls. Der Hilfskontakt des Spannungswandler war also ordnungsgemäß mit den Distanzschutzgerät verbunden. Der Distanzschutz hätte doch blockieren und so eine Fehlauslösung verhindern müssen. Was ist also falsch gelaufen?
Die Antwort hierfür findet sich direkt am Schutzschalter. Die Hilfskontakte haben die bereits geöffneten Leistungskontakte des Schutzschalters zu spät an das Schutzrelais gemeldet. Dadurch kam die Blockierung der Distanzschutzfunktion nicht mehr rechtzeitig zum Tragen.
Damit so etwas in der Praxis nicht passiert gibt es spezielle Schutzschalter für Spannungswandler. Diese sind so konstruiert, dass die Hilfskontakte und die Hauptkontakte optimal zusammenarbeiten.
Beim Einschalten des Schutzschalters wird als erstes der Hauptkontakt geschlossen. Erst mit etwas Verzögerung schaltet dann auch der Hilfskontakt. Das Schutzgerät misst also schon wieder Spannung bevor die Automatenfallmeldung verschwindet. Bei Ausschalten des Automaten, wie in unserem Szenario, werden erst die Hilfskontakte betätigt. Das Schutzgerät kann die Schutzfunktion blockieren. Erst mit etwas Verzögerung werden dann die Hauptkontakte geöffnet.
So sieht zumindest der theoretische Idealfall aus, aber wie sieht es eigentlich im Praxistest aus?
Wir Schutzingenieure sind skeptische Leute und ziemliche Kontrollfreaks. Wir wollen es genau wissen. Wie steht es nun tatsächlich um die Schaltzeiten der Hilfskontakte?
Man nehme einen Spannungswandler-Schutzschalter vom Typ Siemens 3RV1611-1DG14 und ein fast baugleichen Motorschutzschalter vom Typ Siemens 3RV1011-1GA15 (oder bestellt ihn schnell), um diese miteinander zu vergleichen.
Im direkten Vergleich fällt einem sofort der Unterschied bei den festverbauten Hilfskontakten auf. Der Motorschutzschalter (links im Bild) hat einen Öffner (21/22) und einen Schließer (13/14) Kontakt. Der Spannungswandler-Schutzschalter nur einen Wechsler (11/12/14). Der Motorschutzschalter hat zusätzlich noch einen einstellbaren thermischen Auslöser, aber der soll uns für den Test nicht weiter stören. Der Rest ist äußerlich gleich. Bei beiden Schaltern hat man zudem die Möglichkeit noch weitere zusätzliche Hilfskontakte seitlich anzubauen.
Mit einem kleinen Prüfaufbau und unter Verwendung meines geliebten COMPANO 100 messe ich den Zeitversatz zwischen dem Hauptkontakt L2 und allen Hilfskontakten.
Da man die Kippschalter langsam oder schnell betätigen kann, messe ich jede Schaltrichtung mit drei verschiedenen Umschaltgeschwindigkeiten und widerhole dies 5-mal um einen Mittelwert zu bilden.
Ich beginne mit der Messung des normalen Motorschutzschalters . . .
. . . und bin entsetzt. Ich hatte nicht erwartet, dass die Schaltzeiten der Hilfskontakte so intensiv von der angewandten Umschaltgeschwindigkeit abhängig sind. Aber wesentlich folgenreicher ist die Tatsache, dass die Hilfskontakte genau das Gegenteil von dem machen was für eine funktionsfähige Blockierung erforderlich wäre. Statt beim Ausschalten mit dem Hilfskontakt zu beginnen wird als erstes der Hauptkontakt geöffnet. Beim Einschalten tritt genau das gleiche Problem ein. Statt zunächst mit dem Hauptkontakt zu beginnen wird der Hilfskontakt zuerst betätigt. Auch hier würde es zu einer Fehlauslösung kommen. Mit viel Glück könnte die Auslösung bei einer sehr schnellen Betätigung des Schutzschalters vermieden werden. Bei langsamer Betätigung ist die Fehlauslösung aber garantiert!
Schauen wir mal ob der spezielle Spannungswandler-Schutzschalter hier besser abschneidet.
Bei näherer Betrachtung der Messergebnisse ist schnell klar: Hier sind die Zeiten der Hilfskontakte entsprechend den Infos aus dem Datenblatt des Herstellers optimiert worden. Der Zeitversatz zwischen dem Haupt- und Hilfskontakt ist richtig. Während wir beim normalen Motorschutzschalter von einer fehlerhaften Performance ausgehen können und nur mit einer sehr schnellen Umschaltung auf Vermeidung der Fehlauslösung hoffen können, lautet beim Spezial-Schutzschalter die Empfehlung ruhig etwas langsamer umzuschalten. Damit sind wir auf der sicheren Seite und das Relais kann sicher blockieren und eine eventuelle Fehlauslösung vermieden werden.
Sagte ich eigentlich schon das wir Schutztechniker alles genau wissen wollen?
Um unsere Beobachtungen aus dem ersten und diesem zweiten Teil noch einmal richtig praktisch zu prüfen, habe ich einen Prüfaufbau mit einem Siemens Distanzschutzrelais 7SA611, dem besagten Motorschutzschalter vom Typ 3RV1611 und einer Omicron CMC356 Prüfeinrichtung eingerichtet. Dabei wurde einfach mittels Statesequenzer der Normalbetrieb mit Nennstrom und Nennspannung simuliert. Ein weiterer Stromausgang war mit den Hauptkontakten des Schutzschalters verbunden. Der Hilfskontakt des Schutzschalters wurde in das Schutzgerät und in die CMC356 eingekoppelt, sowie das Generalauskomando des Schutzgerätes (siehe Abbildung).
Die folgende Tabelle zeigt die Messergebnisse:
Der Distanzschutz löste bei jedem Versuch aus. Da könnte man ja glatt den Hilfskontakt des Schutzschalters weglassen, oder?
NEIN, natürlich nicht!
Ein Blick auf die Einstellparameter des 7SA611 zeigt das es im Schutzgerät die Möglichkeit gibt die Reaktionszeit des Schutzschalters zu hinterlegen. Entsprechend dem Datenblatt des Herstellers und auf Basis meiner Messungen, stelle ich eine Reaktionszeit von 10 ms im Schutzgerät ein und wiederhole alle Messungen.
Mit Hinterlegung der Reaktionszeit stellt sich für den verwendeten Motorschutzschalter doch noch ein funktionstüchtiges Verhalten ein. Bei hinreichend großem Kurzschlussstrom wird die Schutzfunktion erwartungsgemäß blockiert und es kommt zu keiner unerwünschten Fehlauslösung. Schön zu sehen ist hier auch wie wichtig ein hoher Kurzschlussstrom zur hinreichend schnellen Auslösung des Schutzschalters ist.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Moderne Schutzgeräte verfügen über weitere integrierte Überwachungen für den Spannungswandlerautomaten. Das heißt das es nicht unbedingt notwendig ist die Hilfskontakte eines Schutzschalter zu verdrahten um das Auslösen des Schutzschalters zu erkennen. Auch diese Funktion habe ich bei den Schutzrelais aktiviert und den Test widerholt. Dabei zeigte sich, dass jeder Fehler zur Blockade des Distanzschutzes führte. Unabhängig vom Hilfskontakt des Schutzschalters. Sogar bei größeren Fehlerwiderständen mit 6 V und 15 A blockierte der Algorithmus zuverlässig.
Daher empfiehlt es sich diese Funktion immer zu aktivieren. Aber auch wenn die Algorithmen für die Überwachung der Messspannung sehr raffiniert arbeiten, sollten wir auf den klassischen Hilfskontakt nicht verzichten. Erst die Kombination beider Varianten bietet ein Maximum an Ausfallsicherheit. Eine Fehlauslösung in der Praxis kann sehr viel Geld kosten und sollte in jedem Fall vermieden werden.
Fazit
Die manuelle Umschaltgeschwindigkeit eines Automaten geht stark in die zeitliche Schaltfolge der Hilfskontakte ein. Die Performance eines Automaten sollte in jedem Fall bekannt sein und auf die vorliegende Anlagenkonfiguration angepasst werden. Zusätzliche Algorithmen moderner digitaler Schutzrelais sollten in jedem Fall ergänzend zum Einsatz kommen.
Bei Fragen, Anregungen und Meinungen schreibt uns bitte: info@engineering-academy.online